ZUR VEREINSGESCHICHTE
Vom Blindenverein für Neuwied und Umgegend über den Blindenverein von
Neuwied und Umgebung e. V.
zum Blinden-
und Sehbehindertenverein für Neuwied und Umgebung e. V.
Aufgrund der
sozialen Nöte, die besonders die Blinden zur damaligen Zeit hart trafen, wurde
der Ruf nach einem Blindenverein immer lauter. So erfolgte am 25.06.1926 ein
Aufruf des blinden Organisten Philipp Kutscher in den „Neuwieder
Stadtnachrichten" mit folgendem Wortlaut:
„..Gründung eines Blindenvereins für Neuwied und Umgegend" Der
blinde Organist Philipp Kutscher, Oberbieber schreibt uns: In fast allen Teilen
Deutschlands bestehen seit Jahren erfolgreich arbeitende Blindenvereine. Wer
die Berichte des Reichsdeutschen Blindenverbands verfolgt hat
(Zentralorganisation der deutschen Blindenvereine), die jedem Freund und Gönner
der Blinden gerne zur Verfügung gestellt werden, der wird zu dem Ergebnis
gelangt sein dass auch In Neuwied und Umgegend der Zusammenschluss aller
Blinden dringendes Bedürfnis ist.
Fast alle Blindenvereine sind gegründet worden unter dem Druck schwerer
Zeitverhältnisse. Aber nicht um mutlos, ratlos die Hände in den Schoß zu legen,
sondern um mit Aufbietung aller Kräfte sich das Vertrauen und die Achtung der
sehenden Mitmenschen zu erringen, um jenen Lebensgrundsatz in die Tat
umzusetzen, der schon seit jeher in den Blindenunterrichtsanstalten gepflegt
wurde, „Lerne Wollen und wolle Lernen".
Es besteht
also die vornehmste Aufgabe der Blindenvereine darin, dahin zu wirken, dass
jedem auf seinem Platze die Möglichkeit geboten werde, sich als nützliches und
vollwertiges Glied der menschlichen Gesellschaft zu betätigen.
Blindenvereine
sind ferner gegründet worden zur Pflege aller schönen geistigen Kulturgüter,
wodurch schon in den Unterrichtsanstalten in geselligem Beisammensein viele
Stunden wahrer Freude und Erhebung geschaffen wurden und noch werden.
Endlich
sollen auch alle im Interesse der einzelnen Mitglieder liegenden
Angelegenheiten durch den Verein tunlichst geregelt werden. Alle Blinden von
Neuwied und Umgegend werden hierdurch gebeten ihre Adresse unter Angabe des
Alters und Berufes in Blinden- oder Schwarzschrift an den Schreiber dieses
Aufrufes senden zu wollen. Es soll zunächst einmal festgestellt werden, ob
genügend Mitglieder für einen Verein für Neuwied und Umgebung vorhanden sind.
Wenn nicht, soll ein Zusammenschluss der hiesigen Blinden mit denjenigen von
Koblenz zu einer Ortsgruppe für Koblenz und Umgebung herbeigeführt werden Es
können natürlich auch diejenigen, welche nicht im Kreise Neuwied wohnhaft sind.
Neuwied aber zwecks Besuch von Versammlungen auf bequemem Wege zu erreichen
vermögen, dem Verein beitreten. Auch blinde Frauen haben Anspruch auf
Mitgliedschaft. Der Begriff „Blind" bezieht sich auch auf solche Fälle, wo
noch ein Teil des Sehvermögens vorhanden ist. Es wird in nächster Zeit eine
Besprechung in Neuwied oder Koblenz stattfinden".
Nach diesem
Aufruf in der Presse fand am 08. 08. 1926 die Gründungsversammlung in der
hiesigen Provinzialblindenanstalt statt.
Das Gründungsprotokoll hatte folgenden Wortlaut:
Punkt 1):
„Der
Einladung des Herrn Kutscher hatten 13 Personen Folge geleistet.
Die
Gründungsversammlung wurde um 16.00 Uhr von Herrn Kutscher eröffnet.
Er begrüßte
Herrn Schulrat Froneberg der sich immer als „Blindenvater' und
„Blindenleiter" gezeigt habe, und dankte ihm in warmen Worten, dass er in
liebenswürdiger Weise die Anstalt als Versammlungsort zur Verfügung gestellt
habe. Herr Kutscher gab der Gewissheit Ausdruck, dass Herr Schulrat mit seiner
reichen Erfahrung auf dem Gebiete des Blindenwesens auch dem neuen Verein mit
Rat und Tat beistehen werde. Sodann begrüßte er Herrn Menn
aus Köln, den Bezirksleiter des Rheinischen Landesverbandes, der zu der
Gründungsversammlung nach Neuwied gekommen war. Dann galt sein Gruß Herrn
Blindenlehrer Tröller den er als Vertreter der Blindenlehrerschaft ansah, mit
der ja der Verein zusammenarbeiten wolle. Herr Kutscher gab seiner Freude
Ausdruck, dass seiner Einladung verhältnismäßig zahlreich Folge geleistet
worden sei. Er schloss seine Begründungsansprache mit dem Wunsche, dass die
Versammlung harmonisch und erfolgreich verlaufen möge.
Dann hielt
Herr Schulrat Froneberg einen Vortrag über Blindenbildung. Blindenfürsorge und
Selbsthilfe der Blinden. Seine aufklärenden Anmerkungen wurden mit regem
Interesse entgegengenommen. Herr Menn schilderte die geschichtliche Entwicklung
der Selbsthilfebestrebungen der Blinden und redete über Zweck und Ziel der
Blindenorganisationen
Dann wurde
in die Besprechung der Tagesordnung eingetreten, die als ersten Punkt die Wahl
des Vorstandes vorsah.
Zum
Vorsitzenden des Vereins wurde einstimmig Herr Philipp Kutscher gewählt. Als
Kassierer wurde Blindenlehrer Tröller vorgeschlagen, der auch die Wahl dankend
annahm. Da man für das Amt des Schriftführers noch keine passende
Persönlichkeit fand, wurde Herr Tröller gebeten, dieses Amt vorläufig mit zu verwalten.
In der Zwischenzeit soll dann jemand als Schriftführer gewonnen werden. Zu
Beisitzern wurden Fräulein Maria Brost und Herr Vitus Hofmann gewählt.
Punkt 2):
Man beschloss. dem neuen
Verein den Namen
„Blindenverein für Neuwied und Umgegend" zu geben.
Punkt 3):
Dem Verein traten alle anwesenden Blinden bei. deren
Namen
aufgeführt sind.
Herr Philipp
Kutscher Herr Johann Schnack
Herr Friedrich Heiler Herr Walter Tröller
Herr Philipp Lotz Herr
Fritz Günster
Herr Ludwig Fröhlich Herr Hermann Hofmann
Herr Heinrich Etscheid Fräulein Maria Brost
Herr Vitus Hofmann Fräulein Maria Fausten
Herr Kar! Hof
Punkt 4):
Es wurde
über die Beitragshöhe gesprochen. Da an den Landesverband jährlich 50 Pfennig
pro Mitglied und an den Reichsverband eine Mark abzuführen sind wurde
beschlossen, den Beitrag auf 6 Mark jährlich, 50 Pfennig pro Monat,
festzusetzen.
Punkt 5):
Die nächste Vereinssitzung soll wieder in der Blindenanstalt stattfinden und
zwar am 12 09. 1926. Bis zu diesem Tage soll der Vorstand die Satzung
erstellen, damit sie in der zweiten Versammlung ihre Bestätigung finden
kann.
Um 18 30 Uhr
schloss Herr Kutscher die Gründungsversammlung mit einem herzlichen
"...Auf Wiedersehen am 12. 09".
Nach der Gründungsversammlung fanden monatlich Treffen aller interessierten
Vereinsmitglieder in der damaligen Provinzialblindenanstalt statt. Bei diesen
Zusammenkünften wurden alle Dinge, die das Blindenwesen betrafen, erörtert.
Überwiegend wurden jedoch die Probleme einzelner Vereinsmitglieder und regional
bedingte Probleme besprochen.
In den
ersten Jahren machte es sich der Verein unter anderem zur Aufgabe seine
Mitglieder mit Radiogeräten zu versorgen. Dies war kein leichtes Unterfangen,
da die finanziellen Mittel knapp waren. So manches Mitglied musste längere Zeit
auf sein Gerät warten Der Verein half auch interessierten Mitgliedern bei der
Beschaffung eines Blindenführhundes. In besonderen Fällen wurden diese Hunde
auch vom Verein bezuschusst. Man wies bei allen Versammlungen darauf hin, dass
es allen Vereinsmitgliedern möglich sei, in einem Blindenerholungsheim Urlaub
zu machen. Man forderte die Mitglieder auf, von dieser Möglichkeit regen
Gebrauch zu machen, da dies auch bezuschusst würde.
1928 im Juni wurde erstmals der Gesetzentwurf für die Blindenrente dem Reichstag
vorgelegt. Dies ist maßgeblich auf die Bestrebungen der Blindenverbände und
somit auch auf die in diesen organisierten
Blindenvereine zurückzuführen.
1929 erfolgte
aus verschiedenen Gründen der Rücktritt einiger Vorstandsmitglieder. Im
gleichen Jahr wurde erstmals angeregt, Zahlungen
für Futterkosten von Blindenführhunden
zu leisten. Wiederholt wurde auch der
Antrag auf Freifahrt der Begleitpersonen
Blinder gestellt. Gleichfalls beschloss
man, beim Rheinischen Blindenverband ein Gesuch an das Rheinische Verkehrsministerium zu veranlassen. Dadurch sollte erreicht werden, dass ein einheitliches
Hörsignal für Auto- und Motorradfahrer
zur Anwendung kommen sollte. Hiermit
sollte eine höhere Verkehrssicherheit für Blinde, aber auch für Sehende, erreicht
werden.
1930 wird der Vorstand damit beauftragt, auf dem Kreiswohlfahrtsamt zu erfragen, ob unsere
Mitglieder nach der Verordnung des Preußischen Ministers für Volkswohlfahrt in die gehobene Fürsorge aufgenommen werden. In diesem Jahr legt auch
Herr Kutscher vorübergehend sein Amt als
Vorsitzender nieder.
1931 übernahm Herr Kern vorübergehend den Vorsitz.
In diesem Jahr erklärt sich unser Verein bereit, eine Interessengemeinschaft
mit dem Koblenzer Verein zu bilden.
Deren Zielsetzung soll noch geklärt werden. Aus den vorhandenen Protokollen geht jedoch über
die weitere Entwicklung der besagten Interessengemeinschaft nichts hervor.
1934 erhielt unser Verein einen neuen Namen. Er hieß ab jetzt „Blindenverein Rheinprovinz,
Ortsgruppe Neuwied".
1936 wird in einer Besprechung bekanntgegeben, dass nun endlich die Begleitperson eines Blinden
freie Fahrt auf den Straßenbahnen hat.
1938 wurde unser Verein abermals umbenannt. Er hieß nun „Blindenverein Rheinprovinz,
Ortsbund Neuwied".
Es fanden, bedingt durch das Naziregime, nur noch inoffizielle Treffen der
Vereinsmitglieder statt, da jegliche Vereinsarbeit verboten wurde.
1948 wurde am 09.10. unser Verein neu gegründet.
Im gleichen Jahr beantragte unser Verein, dass der Blindenverband allen Ortsvereinen die
Bestimmungen über die Gewährung des Schwerbeschädigtenausweises zusendet.
1950 steht im Zeichen der Forderungen:
„Arbeit für jeden Blinden, der arbeiten kann, aber eine staatliche Beihilfe für den, der nicht
arbeiten kann, oder ohne eigene Schuld keine Arbeit hat". „Es muss die
wirtschaftliche Gleichstellung mit den Kriegsblinden erreicht werden'.
Unser damaliger Vereinsvorsitzender, Herr Philipp Kutscher, machte dem Verband
den Vorschlag, in Rheinland-Pfalz ein Blindenerholungsheim zu errichten.
Gleichfalls
wurde Herr Kutscher in diesem Jahr zum Schriftführer des Blindenverbandes
Rheinland-Pfalz gewählt.
1951 wurden alle Blinden von der Rundfunkgebühr befreit.
1953 wurde endlich ein gesetzlicher Beschluss über das Blindenpflegegeld gefasst.
1957 wurde der Name unseres Vereins in „Blindenverein für
Neuwied und Umgebung“ geändert.
1960 wurde überschattet vom Tode unseres Gründers und langjährigen Vorsitzenden, Herrn Philipp
Kutscher, der bis zuletzt um das Wohl
„seiner Blinden" und unseren Verein
besorgt war.
1961 stand im Zeichen der Neuerungen.
Zum neuen
Vorsitzenden wurde Herr Hans Stielow gewählt. Es wurden durch Frau Martha
Kutscher erstmals Hausbesuche
durchgeführt. Dies tat sie, um dem letzten Wunsche ihres Mannes nachzukommen, der sie noch vor seinem Tode bat, sich
weiterhin um „seine Blinden" zu kümmern.
Unter großem
persönlichem Einsatz und mit sehr viel Energie machte Frau Kutscher jährlich bis
zu 250 Besuche bei Blinden. Ihre Besuche
sollten den Vereinsmitgliedern das
Gefühl der Zusammengehörigkeit und des
Umsorgtseins vermitteln. Bis ins hohe
Alter führte Frau Kutscher ihre Hausbesuche durch. Für ihren großen persönlichen
Einsatz gebührt ihr unser aller Dank.
Ihre Arbeit
zum Wohle der Blinden wurde von staatlicher Seite anerkannt und gewürdigt durch die
Verleihung der Medaille zum Bundesverdienstkreuz.
1964 erlangten wir
durch Eintragung beim Amtsgericht Neuwied die Rechtsfähigkeit und waren nun ein eingetragener Verein.
1969 wurde der Verein zur Betreuung blinder und sehbehinderter Kinder e.V. gegründet.
Zur Gründung dieses Vereins kam es aufgrund der engen Zusammenarbeit zwischen der damaligen Blindenschule und unserem Blindenverein.
In der
Blindenschule waren Kinder aus ganz Rheinland-Pfalz untergebracht. So erfuhr
der Vorstand des Blindenvereins immer wieder
von Kindern, denen die staatliche Hilfe
nicht zu Teil wurde.
Auch wurden von Seiten der Schule Wünsche geäußert, die durch deren Etat nicht
gedeckt werden konnten. So kam der damalige Direktor der Blindenschule, Herr
Otto George, mit dem damaligen Vorsitzenden des Blindenvereins, Herrn Hans Stielow, überein, ein Kuratorium
zur Betreuung blinder Kinder zu bilden.
Da die
finanziellen Möglichkeiten des Blindenvereins eine Betreuung des Kuratoriums in
ausreichender Form nicht mehr
gewährleisten konnten, bildete sich aus dem Kuratorium ein eigenständiger
Verein.
Bei der
Gründungsversammlung waren 23 Personen anwesend, die alle dem Verein zur
Betreuung blinder und sehbehinderter
Kinder e.V. beitraten.
1970 als Herr Stielow verstarb, wurde Frau Ingeborg Berns
als 2. Vorsitzende mit der Leitung des
Vereins betraut.
1971 wählte die Versammlung Herrn Alfred Düpre zum Vorsitzenden des Vereins.
1974 wurde das Landespflegegeld unabhängig von Einkommen und Vermögen für Zivilblinde
gewährt. Bis zu diesem Zeitpunkt war die
Zahlung abhängig von Einkommen und
Vermögen.
1977 wurde Frau Ingeborg Berns zur Vorsitzenden des Vereins gewählt.
1989 übernahm Herr Werner Schend den Vorsitz des Vereins.
1992 wurde der Vereinsname geändert in „Blinden- und Sehbehindertenverein für Neuwied und Umgebung e.V.".
1995 verabschiedete der Landtag von Rheinland-Pfalz das Landesblindengeldgesetz.
2001 hatte der Verein 143 Mitglieder.
Unser besonderer Dank gilt Herrn
Otto George, der durch das
Auflesen alter
Protokolle auf Band maßgeblich zum
Zustandekommen dieser Festschrift
beitrug.
Wichtige
Ziele unseres Vereins sind die Beratung der Mitglieder und die Pflege der
Geselligkeit. Der Verein ist Sprachrohr für Blinde und Sehbehinderte gegenüber
Staat und Gesellschaft, hilft bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, gibt
Hilfestellung bei Behördenangelegenheiten, informiert über Gesetzesänderungen
sowie gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen. Der Verein ist
gemeinnützig tätig. Er ist Mitglied im Landesblindenverband
Rheinland-Pfalz und der Blindenhilfe in Rheinland-Pfalz, dem Träger des Seniorensitzes
auf der Karthause, Koblenz, sowie Gesellschafter der „Förderstätte und
Pflegeheim für mehrfach behinderte Blinde und Sehbehinderte"
in Wilgartswiesen/Pfalz.
Es muss
weiterhin unser Bestreben sein, die Selbsthilfe blinder und
sehbehinderter
Menschen im Landkreis Neuwied zu fördern. Denn nur
durch eine starke Selbsthilfeorganisation
können die berechtigten
Interessen Blinder und
Sehbehinderter wahrgenommen werden.